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Der Pistazieneismord: Ein kriminologisches Drama

Der Pistazieneismord ist einer der spektakulärsten und mysteriösesten Kriminalfälle der deutschen Justizgeschichte, der selbst nach mehr als drei Jahrzehnten noch immer ein Thema für Diskussionen und Spekulationen ist. Die Geschichte beginnt tragisch mit dem Tod der siebenjährigen Anna B. am 21. Januar 1993, die an einer Arsenvergiftung starb. Der Fall erregte schnell bundesweit Aufsehen. Nicht nur wegen der Umstände des Todes des Mädchens, sondern auch aufgrund der Verdächtigungen gegen Annas Tante, Elisabeth F., der bis heute ungelöst ist. Um den Fall besser zu verstehen, ist es wichtig, die Hintergründe der beteiligten Personen zu beleuchten. Elisabeth, die Tante von Anna, war eine auffällige Persönlichkeit. Nach einem abgebrochenen Pharmaziestudium hatte sie einen wohlhabenden Ehemann geheiratet und lebte fortan im Luxus. Doch ihr Leben glich einem ständigen Wettlauf mit der Zeit, denn sie litt an Lymphdrüsenkrebs, weshalb sie keine Kinder bekommen konnte. Als Kinderersatz dienten Elisabeth ihre drei französischen Bulldoggen, die neben ihr in ihrem weißen Porsche saßen. Elisabeth lebte in Königsstein im Taunus, während ihr Bruder in Tamm im Wohngebiet Hohenstange bei Ludwigsburg lebte. Im Gegensatz zu Elisabeth führten Annas Eltern trotz Managerposten ihres Vaters Ernst-Rudolf ein bescheidenes und sehr religiöses Leben. Anna war das einzige Kind in der Familie und hatte eine enge Bindung zu ihrer Mutter Benedikte, die aufgrund ihrer Multiple Sklerose Erkrankung oft auf fremde Hilfe angewiesen war. Die Dynamik innerhalb dieser Familie war komplex. Obwohl die Beziehung zwischen Anna und ihrer Tante herzlich schien, gab es wohl auch unausgesprochene Spannungen. Es wird vermutet, dass Elisabeth unter einer Form von Eifersucht litt, da ihr eigenes Leben von Kinderlosigkeit geprägt war. Am Abend des 20. Januars 1993 besuchte Elisabeth ihre Familie, um am nächsten Tag einen Tierarzttermin in einer Ludwigsburger Tierarztpraxis wahrzunehmen, da einer ihrer Hunde krank war. Anna freute sich sehr auf den Besuch ihrer mondänen Tante, die ihr immer ein Präsent mitbrachte. Diesmal hatte Elisabeth Anna eine Packung Pistazieneis mitgebracht. Das Eis sollte in den späteren Ermittlungen zentrales Element der Tragödie werden. An jenem Abend besuchten Annas Eltern einen religiösen Vortrag ihrer Kirchengemeinde. Elisabeth und Anna gönnten sich nachdem Gassi gehen mit den Hunden eine Portion Pistazieneis. Anna wollte, dass Elisabeth ihr noch Schokosoße aus dem Kühlschrank über das Eis goss, was Elisabeth liebend gern tat, die Anna stets verwöhnte. Anna war so begeistert, dass sie Nachschlag verlangte. Gegen 21 Uhr legte sich Anna schlafen. Bald darauf kamen Annas Eltern nach Hause und die drei Erwachsenen beschlossen sich Pizza beim Lieferservice noch Pizzen zu bestellen. Dann rief Anna gegen 22 Uhr ihren Vater. Sie klagte über heftige Bauchkrämpfe, hatte Durchfall und musste sich erbrechen. Benedikte nahm Anna auf ihren Schoss, gab ihr Schwarztee zu trinken und verabreichte ihr Uzara, ein pflanzliches Heilmittel bei Durchfall. Da es Anna so schlecht ging, beschlossen Annas Eltern sie in ihrem Ehebett schlafen zu lassen. Doch Annas Zustand verschlechterte sich immer mehr, so dass Annas Eltern und Elisabeth sie ins Auto packten, um sie zum Arzt zu bringen. Da Annas Kinderarztpraxis noch geschlossen hatte, fuhren sie in eine Ludwigsburger Klinik. Doch für Anna kam jede Hilfe zu spät, um 11.32 Uhr wurde sie für tot erklärt. Da die Ärzte auf Annas Röntgenbild seltsame Verschattungen sahen, wollten sie eine Obduktion durchführen. Doch Annas Eltern weigerten sich. Noch bevor Elisabeth von Annas Tod erfuhr, war diese von der Klinik per Taxi zum Haus ihres Bruders gefahren, um mit ihrem Hund den Tierarzttermin wahrzunehmen. Danach kehrte sie ins Krankenhaus zurück. Dort verkündete ihr ihr Bruder Ernst-Rudolf den Tod von Anna. Daraufhin kam es zu einer merkwürdigen Reaktion von Elisabeth, die nur sagte, dass sie die halbvolle Spülmaschine noch angestellt hatte. Da die ersten Anzeichen einer Vergiftung unübersehbar waren, wurde die Polizei und die Giftzentrale alarmiert. Die Ermittlungen nahmen schnell fesselnde Wendungen. Obwohl viele Umstände gegen das Lebensmittelvergiftungs-Szenario sprachen, wuchs der Verdacht gegen Elisabeth. Nach der Obduktion von Anna stellte sich heraus, dass sie mit Arsentrioxid vergiftet worden war. Die Dosis war fatal und ließ Rückschlüsse auf die Art der Vergiftung zu. Laut rechtsmedizinischem Gutachten hatte Anna die tödliche Dosis zwischen 20 bis 21 Uhr erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war Anna nur mit Elisabeth zusammen gewesen, da ihre Eltern außer Haus bei einem Kirchenvortrag waren. Anna hatte gemeinsam mit Elisabeth Pistazieneis gegessen. War dieses oder gar die Schokosoße vergiftet worden? Dies vermuteten die Ermittler, doch alle Lebensmittel waren schon von Annas Mutter entsorgt worden und Elisabeth hatte die Schälchen mit dem Pistazieneis und der Schokosoße bereits mit der Spülmaschine reinigen lassen. Obwohl der Verdacht auf die Tante fiel, wurden auch die Eltern in die Ermittlungen einbezogen. Vor allem die merkwürdigen Todesumstände der Großeltern fütterten die Spekulationen über eine mögliche Serienmörderin in der Familie. Denn am 17. März 1987 war Annas Opa überraschend in der Tiefgarage zusammengebrochen und gestorben. Es wurde ein Schlaganfall vermutet. Nur acht Monate später am 18. November 1987 starb Annas Oma. Ihr Blutdruck war derart gesunken, dass diese das Bewusstsein verlor. In beiden Fällen war Elisabeth anwesend. Konnte dies ein Zufall sein? Annas Großeltern waren Apothekenbesitzer der Mohrenapotheke in Möhringen gewesen, die ihren Kindern ein Millionenvermögen hinterließen. Tatsächlich hatten zum Zeitpunkt von Annas Tod sowohl Elisabeth als auch ihr Bruder Ernst-Rudolf noch Zugang zur Apotheke, in der es Arsen gab. Doch während alle diese Verwicklungen ein spannendes Bild einer Familiendynastie malten, blieben handfeste Beweise aus. Auf der Suche nach Motiven und weiteren Indizien konzentrierten sich die Ermittler zunehmend auf Elisabeth. Ihr Verhalten während und nach der Tragödie war merkwürdig und wirkte unberührt, was den Verdacht zusätzlich erhärtete. In der Tat schien sie mehr daran interessiert, ihren Hund zum Tierarzt zu bringen, als sich um ihre schwer verletzte Nichte zu kümmern. Im ersten Prozess im Herbst 1995 vor dem Stuttgarter Schwurgericht wurde Elisabeth des Mordes angeklagt und im November wegen heimtückischen Mordes an ihrer Nichte Anna zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Jedoch hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil im August 1996 auf, nach dem Elisabeths Anwälte Berufung eingelegt hatten. Die Richter waren zu dem Schluss gekommen, dass die Beweislage nicht ausreichend war, um eine Verurteilung aufrechtzuerhalten. Elisabeth wurde vom Heilbronner Landgericht im Juli 1997 erneut zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt. Auch dieses Mal gingen ihre Anwälte in Revision und der Bundesgerichtshof hob 1999 das Urteil abermals auf und schloss eine dritte Verhandlung vor dem Landgericht aus. Damit wurde Elisabeth endgültig freigesprochen, die nach dem Urteil sofort aus der Haft entlassen wurde. Die juristische Auswertung des Falls offenbarte tiefere Probleme im deutschen Rechtssystem, insbesondere hinsichtlich der Beweisführung. Es stellte sich heraus, dass Indizien oft nicht genug waren, um zu einen Schuldnachweis zu führen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“, wurde hier überdeutlich. Die unzureichende Beweislast gegen Elisabeth führte dazu, dass ein vermeintlicher Mord niemals aufgeklärt wurde. Elisabeth starb nach ihrer Haftentlassung an den Folgen ihr Krebserkrankung. Annas Eltern beschlossen ein neues Leben in Franken zu beginnen. Der bis heute ungelöste Pistazienmord bleibt eine düstere Erinnerung an die Komplexität menschlicher Beziehungen, die Schatten der Vergangenheit und die Frage, wie gut wir wirklich über unsere Familien Bescheid wissen. Auch wenn die rechtliche Seite des Falls abgeschlossen ist, bleibt das emotionale Echo in den Herzen der Beteiligten und der Öffentlichkeit. Wer weiß, welche Geheimnisse noch in den Schatten dieser Tragödie verborgen sind? Der Fall wird weiterhin als Mahnung an die Grenzen unserer Erkenntnis und den Kampf um Gerechtigkeit stehen. 

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