Das Vergiftungs-Mysterium

Ein Mord der Kriminalgeschichte schrieb, da bis heute nicht geklärt werden konnte, wie bei dem Mordopfer eine tödliche Menge Chloroform in dessen Magen gelangen konnte, ist der Mord an Thomas Edwin Bartlett, besser bekannt als das Pimlico-Geheimnis oder das Pimlico-Vergiftungs-Mysterium. Dieser Kriminalfall zählt nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch den spannendsten des viktorianischen Zeitalters. Doch der Reihe nach. Am 1. Januar 1886 weckte Adelaide Bartlett aufgeregt ihr Dienstmädchen, das ihr ins Schlafgemach folgte, wo ihr Ehemann tot in seinem Bett lag. Auf dem Nachtisch stand ein dreiviertel gefülltes Weinglas, das mit Brandy und einer nach Äther riechenden Substanz gefüllt war. Daneben befand sich ein Fläschchen mit „Condy´s Fluid“ und eine Flasche „Chlorodyne“, eine Lösung mit Morphin und Chlor. Der herbeigerufene Arzt Dr. Leach fragte deshalb Adelaide, ob sich ihr Ehemann vielleicht selbst vergiftet haben könnte, was diese ausschloss. Bereits einen Tag später fand die Autopsie von Thomas statt, die ergab, dass dieser nicht an einem natürlichen Tod gestorben war. Die Todesursache war eine große Menge flüssiges Chloroform, das in seinem Magen gefunden wurde. Doch wie war dieses dorthin gekommen? Es gab keine Schäden an seinem Hals oder der Luftröhre. Fakt war, dass flüssiges Chloroform nicht in den Magen gelangen, ohne dass die Seiten des Rachens und des Kehlkopfes verbrennen. Aber solche Verletzungen wies die Leiche von Thomas nicht auf. Schnell geriet seine Ehefrau Adelaide und ihr inniger Freund der Reverend George Dyson unter Mordverdacht. Denn dieser hatte sich auf die Bitte von Adelaide Chloroform verschreiben lassen, weshalb beide wegen Mordverdachts festgenommen wurden. Der Strafprozess wegen Mordes an Thomas Edwin Bartlett begann am 12. April 1886 im Old Bailey, dem Zentralen Gerichtshof in London. Als beim Prozess die beiden Anklagen vorgelesen wurden, forderte die Staatsanwaltschaft die Einstellung der Anklage gegen Reverend George Dyson, der offiziell freigesprochen wurde. Ein kluger Schachzug der Staatsanwaltschaft, da dieser nun als Zeuge geladen werden konnte. Nun mussten die Geschworenen nur noch über Adelaide Bartlett urteilen. Hatte sie ihren Ehemann getötet? Adelaide wurde als uneheliche Tochter von Clara Chamberlain und vermutlich dem Adeligen Adolphe Collot de la Tremouille 1856 in Orléans geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Frankreich bis sie zu ihrer Tante und ihrem Onkel mütterlicherseits in den Londoner Vorort Kingston zog, wo sie 1875 den 11 Jahre älteren Thomas Edwin Bartlett kennen und lieben lernte. Bald schon folgte die Hochzeit mit dem gut situierten Geschäftsmann, dem Bildung sehr wichtig war, weshalb er Adelaide zunächst für 2 Jahre auf eine Schule im Londoner Stadtteil Stoke Newington schickte. Danach absolvierte Adelaide eine Ausbildung auf einer Schule in Belgien. Als sie diese beendet hatte, zogen sie in eine Wohnung im Londoner Stadtteil Herne Hill, wo sich das Geschäft von Thomas befand. Schnell machten Gerüchte die Runde, dass Adelaide eine Affäre mit Thomas jüngerem Bruder Frederick hatte. Dies stellte sich als wahr beim Strafprozess heraus. Beide hatten einmal Sex miteinander gehabt und Adelaide war sogar schwanger geworden. Jedoch wurde das Kind tot geboren. Öffentlich wurde behautet, dass das Kind natürlich von Thomas war. Danach zog das Ehepaar in den Londoner Stadtteil East Dulwich und zwei Jahre später in den Londoner Bezirk Merton Abbey, wo die mittlerweile 27 Jahre alte Adelaide den Reverend George Dyson kennen lernte. Es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die Thomas tolerierte. Im August 1885 zog das Ehepaar in eine Wohnung im Londoner Stadtteil Pimlico. In dieser schliefen zwar beide im selben Raum, doch während Thomas im Bett übernachtete, nächtigte Adelaide aufgrund seines Mundgeruchs auf der Couch. Da Thomas glaubte, sich mit Syphilis angesteckt zu haben, behandelte er sich selbst mit Quecksilber. Im Dezember 1885 wurde bei ihm Durchfall und eine Magenschleimhautentzündung festgestellt. Kurze Zeit danach bat Adelaide George ihr das Chloroform zu besorgen, um Thomas damit zu behandeln. Dies übergab er Adelaide am 29. Dezember 1885, wenige Tage danach war Thomas tot. Adelaide wurde im Strafprozess von Sir Edward Clare vertreten, einem der besten Rechtsanwälte im viktorianischen England, der von ihrem Vater angeblich engagiert worden war. Dieser plädierte auf Selbstmord ihres Ehemannes. Da es keine Verbrennungen an den Seiten des Rachens und Kehlkopfes gab, konnte das Chloroform im Magen bei Thomas nur durch schnelles Trinken dorthin gelangt sein, weshalb Thomas dies sich selbst verabreicht haben musste. Es war zwar kaum vorstellbar, dass jemand beim Schlucken der Substanz dies freiwillig tat, da bei der oralen Einnahme des Chloroforms, egal wie schnell, es bei den Schleimhäuten, dem Mund- und Rachenbereich, es zu einer äußerst schmerzhaften Bläschenbildung kam. Eine solche Blasenbildung konnte bei der Autopsie nicht festgestellt werden. Wie war das Chloroform also in den Magen gelangt. Diese Frage konnte nicht geklärt werden. Trotz schwerwiegenden Verdachts, dass Adelaide Bartlett ihren Ehemann Thomas ermordet hatte, wurde sie von den Geschworenen für „Nicht schuldig“ befunden. Dieses Urteil spiegelte die öffentliche Meinung wieder, da die Anwesenden applaudierten. Adelaide Bartlett und Reverend George Dyson verschwanden nach dem Prozess aus der Öffentlichkeit. Es wurde gemunkelt, dass beide vielleicht sogar geheiratet hatten. Andere behaupteten, dass beide danach keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Fakt ist, dass dieser Kriminalfall zahlreich für Lese- und Filmstoff sorgte und bis heute die Frage unbeantwortet ließ, wie das flüssige Chloroform in den Magen von Thomas Edwin Bartlett gelangt war. D